Ein Spezialist des Oryx-Projekts, das sich auf Open-Source-Intelligence (OSINT) stützt, teilte kürzlich besorgniserregende Zahlen über russische Verluste. Demnach liegt die Zahl der zerstörten, aufgegebenen, beschädigten und von ukrainischen Kräften erbeuteten Panzer im letzten Jahr allein in der Region um Pokrowsk bei 539 auf russischer und 92 auf ukrainischer Seite. Noch deutlicher wird das Missverhältnis bei gepanzerten Kampffahrzeugen, wo die Zahlen bei 1020 zu 138 stehen. Die realen Verluste dürften über diese aus öffentlich zugänglichen Quellen ermittelten Daten hinausgehen. Rob Lee, ehemaliger US-Marine und Experte des Foreign Policy Research Institute, bezeichnete die Verluste der russischen Seite als "außergewöhnlich hoch".
Das Institute for the Study of War (ISW) äußerte sich ebenfalls zu den OSINT-Verlustzahlen und stellte fest, dass die russische Militärführung diese Rate nicht akzeptieren kann oder will, da die russische Rüstungsindustrie an ihre Grenzen stößt. Die begrenzten Vorräte an sowjetischem Kriegsgerät und das Fehlen signifikanter territorialer Gewinne durch mechanisierte Manöver stellen weitere Herausforderungen dar. Laut ISW haben die russischen Streitkräfte seit Oktober 2023 nur etwa 40 Kilometer in Richtung Awdijiwka/Pokrowsk vorrücken können, und der Ausrüstungsverlust für solche geringen taktischen Gewinne ist "nicht nachhaltig ohne grundlegende Veränderungen an Russlands Kriegsressourcen". Die Denkfabrik prognostiziert zudem, dass Russland in den nächsten Jahren seine limitierten sowjetischen Waffen- und Ausrüstungsbestände aufbrauchen wird.
Der ukrainische Präsident Selenskyj fordert indessen immer wieder eine Erhöhung der Waffenlieferungen aus dem Westen, angesichts der Mängel an Kriegsgerät im eigenen Land. Die Taktik der Ukraine, die russischen Kräfte zu enormen Verlusten zu zwingen, scheint trotz der damit verbundenen Gebietsverluste aufzugehen. In der Nähe von Pokrowsk konnten die russischen Truppen nur deshalb vorrücken, weil sich die ukrainischen Streitkräfte zurückzogen, um Menschenleben und Material zu schonen und bessere Verteidigungspositionen zu beziehen. Diese Strategie des "Tausches von Raum gegen Verluste" zielt darauf ab, den Russen einen möglichst hohen Preis abzuverlangen, bevor die ukrainischen Streitkräfte sich aus den angegriffenen Städten zurückziehen. Der Schlüssel zum Erfolg im Verteidigungskampf gegen die russischen Aggressoren, so Oleksandr Solonko vom 411. ukrainischen Drohnenbataillon gegenüber der "New York Times", liegt darin, "wie viel sie verlieren, bis sie erkennen, dass es aussichtslos ist."