Doch Dolina? Die bekam ihre Wohnung zurück. Einfach so. Ohne einen Rubel zurückzuzahlen. Das Urteil löste einen Sturm der Empörung aus. Schnell kursierte das Gerücht, jemand ganz oben hätte still und heimlich die Finger im Spiel gehabt – ein Verdacht, der nie bewiesen wurde, aber sich rasant verselbstständigte.
Statt die Mächtigen zur Verantwortung zu ziehen, richtete sich der Zorn auf eine einzige Frau. Konzerttickets wurden massenhaft zurückgegeben. Clubs, Restaurants und Veranstalter strichen ihre Auftritte. Sogar aus einem neuen Film sollte sie angeblich herausgeschnitten werden. Ein Edelrestaurant, das sie an Silvester auftreten lassen wollte, änderte Hals über Kopf sein Programm. Statt Dolina spielten nun ein Streichquartett und eine Coverband. Die Botschaft war unmissverständlich. Der Fall wurde so groß, dass selbst Abgeordnete aktiv wurden. Plötzlich standen Gesetzesänderungen im Raum – etwa eine Sperrfrist für Immobilienkäufe, damit Geschäfte im Verdachtsfall rückgängig gemacht werden können. Juristen warnten schon vor einem "Dolina-Effekt“: der Angst, eine Immobilie zu kaufen und sie anschließend wieder abgeben zu müssen, weil ein Gericht den alten Besitzern Recht gibt.
Doch die Experten sehen noch etwas anderes: Der Fall wurde zu einem Symbol. Dolina wurde zur Projektionsfläche einer müden, frustrierten russischen Gesellschaft – einer Gesellschaft, die unzufrieden ist, aber kaum offene Kritik an der Regierung riskieren kann. Der Politologe Iwan Preobraschenski bringt es auf den Punkt: Man beschimpft nicht das System, sondern den Menschen, an dem man es sich gefahrlos abarbeiten kann.